BELTRICE
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Angels of Beltrice: Stunde Null

 

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Angels of Beltrice – Stunde Null

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Manufactorum Zone Alpha-2 

Vor etwas über einem Jahr…

 

Cassiel keuchte, als ihm die Wucht des Aufpralls die Luft auf den Lungen presste.

Als er die Augen öffnete, sah er ein Gemisch aus dunkelgrauen, tief hängenden Wolken über den Himmel stoben. Für einen Moment verlor er die Orientierung und der Lärm um ihn herum wurde zu einem dumpfen Rauschen.

Was war geschehen? Wieso lag er auf dem Rücken, das volle Gewicht seiner Mark X Gravis Armor auf sich lastend?

Die Explosion des Earthshaker Geschosses musste ihn meterweit durch die Luft geschleudert haben. Er erinnerte sich noch an das schrille Pfeifen der Artilleriegranate, kurz bevor alles schwarz um ihn herum geworden war.

Wenn die Batterie den direkten Treffer gemeldet bekommen hat, haben sie sich jetzt eingeschossen, erfasste Cassiel mit seinem ersten klaren Gedanken. Er musste hier weg. 

Die Stellung war verloren.

Cassiel zog seine schwer gepanzerten Füße an sich heran und stellte sie auf. In einem kurzen Impuls arbeiteten seine augmentierten Muskeln mit den hochgepowerten Servos seiner Rüstung im Einklang und erhoben den massiven Körper des Space Marine in fließenden, eleganten Bewegung wieder auf die Beine.

Sofort begannen Cassiels Autosenses seine unmittelbare Umgebung zu erfassen und speisten die Daten direkt in sein Bewusstsein. Das Interface in seinem Helm setzte die Informationen umgehend in eine visuelle Darstellung um. Taktische und strategische Datensätze ratterten durch das Display, von denen Cassiel die meisten ignorierte – vorerst. Fünf rot leuchtende Zielerfassungsrunen tauchten vor ihm auf und tanzten über sein Sichtfeld, während die Informationen über die Ziele direkt in sein Gehirn eingespielt wurden.

5 Hostiles. Human.

Armor Assessment: Irrelevant. 

Threat Assessment: Negligible (8%).

Schüsse von Lasergewehren zucken in seine Richtung. Die Meisten der hastig abgefeuerten Strahlen gingen weit an ihm vorbei – einer wurde durch das bläulich-schimmernde Energiefeld absorbiert, dass Cassiel umgab.

In einer ruhigen Bewegung hob der Space Marine seinen linken Arm. Der Boltstorm Bolter an seiner Power Fist spuckte fünf Geschosse aus, während Cassiel sich bereits abwandte. In der Peripherie seines Sichtfeldes bekam er mit, wie die Boltgeschosse die Schädel und Brustkörbe seiner Ziele in explodierende Wolken aus Blut und Innereien verwandelten. Die Zielrunen verschwanden, doch Cassiels Autosenses meldeten bereits ein ganzes Platoon von Menturi Verrätern, die auf die Ruine des kleinen Lagerhauses zustürmten, in der er sich gerade befand.

„Seid Ihr wohlauf, Brother-Captain?“ klang die Stimme von Librarian Enael in Cassiels Voxtransmitter.

„Master“, korrigierte Cassiel den Psyker. 

Enael war einer der wenigen Primaris Marines, mit denen Cassiel schon als Teil der Unnumbered Sons im Kreuzzug des Primarchen gedient hatte. Der Librarian hatte sich immer noch nicht ganz an die Eigenheiten der Angels of Absolution gewöhnt, obwohl sie nun schon einige Zeit Teil des Ordens waren.

„Keine Schäden oder Verletzungen. Sergeant Curiels Incursor Squad aber ist ausgelöscht. Die Stellung ist nicht mehr zu halten.“

Vor ihrer Vernichtung hatte der Trupp aus Vanguard Marines die vorgezogene Stellung in der Ruine noch vermint – die Menturi würden eine böse Überraschung erleben, wenn sie das Gebäude schließlich stürmten.

„Verstanden… Master“, bestätigte Enael, ohne sich den leicht spöttischen Unterton verkneifen zu können. „Rückzugsvektor aktuell frei. Die Werkstatt wird nach wie vor gehalten, ebenso wie die Bastion. Ich sehe aber eine halbe Kompanie an Verrätern auf Euch zuhalten, Cassiel. Und da ist noch etwas…“

Die Übertragung wurde kurz durch entfernte Explosionen und Kampfgeräusche unterbrochen, bevor Enael erneut sprach.

„Wir haben auf meiner Flanke mit Einheiten des Mechanicus zu tun. Die Monoloi haben sich den Menturi angeschlossen. Oder umgekehrt.“

„Verstanden. SitRep.“ gab Cassiel kurz zurück, während er sich zügig durch die Ruine bewegte.

„Keine Verluste bisher. Wir können halten, aber es werden immer mehr. Und die Menschen zahlen einen hohen Preis.“

Cassiel riskierte einen kurzen Seitenblick in Richtung Enaels Flanke. Der Librarian stand, umgeben von einem Squad Incursor Marines, auf der obersten Ebene eines mehrstöckigen Containerdepots, das in vorderster Front von Colonel Kustars Catachanern verteidigt wurde. Cassiel konnte sehen, dass die einfachen Soldaten unter schwerem Beschuss standen, während Enael und seine Truppe scheinbar vom Feind ignoriert wurden – trotz ihrer exponierten Position auf dem Dach der Anlage. Cassiel spürte die Wirkung von Enaels Psikräften als kalten Schauer über seinen Rücken kriechen.

WARNING! 

Threat Detected. 

INCOMING!

Gerade noch rechtzeitig konnte sich Cassiel hinter einem massiven Brocken Rockcrete in Deckung bringen, bevor ein Schwarm von Leuchtspurgeschossen die Luft an der Stelle zerriss, an der er eben noch gestanden hatte. 

„Ihr habt eindeutig ihre Aufmerksamkeit erregt, Master“, kommentierte Enael den Angriff über das Voxnet. Sein Kommentar wurde vom markerschütternden Dröhnen großer Triebwerke begleitet, das Cassiels Audiofilter nur mühsam herunter pegeln konnten.

Cassiel riskierte einen kurzen Blick über die Deckung hinweg, was mit einem erneuten Schauer von Geschossen quittiert wurde. Er sah die große, bulkige Silhouette einer hovernden Valkyrie um die Ruine herum schweben, die sich eindeutig ihn als nächstes Ziel auserkoren hatte.

Mit einer explosiven Bewegung sprang Cassiel auf und rannte los. Das schwer bewaffnete Gunship pulverisierte seine vormalige Deckung nur Augenblicke später. Begleitet von Explosionen und Geschossgarben rannte der Space Marine über das Schlachtfeld, während ihm seine Sensoren den Weg zur Werkstatt vor gaben – dem nächstgelegenen Verteidigungpunkt seiner eigenen Linien. Die Valkyrie jedoch antizipierte seine Route. Er hörte die Hovertriebwerke aufheulen und sah aus dem Augenwinkel, wie sich das Gunship erst parallel zu ihm bewegte, um sich ihm dann nahezu frontal in den Weg zu stellen.

WARNING! 

Missile lock.

Cassiel stieß sich aus vollem Lauf ab und sprang zu Seite. Glücklicherweise hatte er den Gunner der Valkyrie richtig eingeschätzt: dieser drückte den Abzug, sobald sein Zielcomputer ihm eine Erfassung bestätigt hatte. Die Hellfire Rakete zischte einige Meter an Cassiel vorbei, doch die Wucht der Explosion wirbelte ihn herum und schleuderte den Space Marine mehrere Meter durch die Luft. Splitter und Trümmer prallten von seiner Power Armor ab, bevor er mit der rechten Schulterpanzerung eine Wand durchschlug und über den Steinboden kugelte. Gelbe Warnrunen leuchteten in seinem Blickfeld auf, die Cassiel umgehend ignorierte.

Die Valkyrie stellte für einen kurzen Moment ihr Feuer ein, vermutlich um zu überprüfen, ob die Rakete ihr Ziel getroffen hatte.

Cassiel verlor keine Sekunde.

„Dariel! Castor! Mein Ziel auffassen! Feuer!“

„Verstanden“, quittierte Techmarine Dariel den Befehl nüchtern.

Einen Augenblick später prasselte ein Hagel von Geschossen auf die Backbordseite der Valkyrie ein. Die doppelten Storm Cannon Arrays von Brother Castor, einem der zwei mächtigen Leviathan Dreadnoughts der Company, spuckten einen wütenden Feuersturm aus Leuchtspurgeschossen auf das Gunship, das durch die Wucht des Beschusses aus der Flugbahn geworfen wurde. Die Kugeln rissen Panzerplatten aus Flügeln und Rumpf der Valkyrie und hinterließen rauchende Krater. Der überwiegende Teil der Geschosse jedoch prallte an der massiven Struktur des Gunships ab und stieb in den dicht bewölkten Himmel. In einem Anflug von Panik drehte der Pilot die Valkyrie leicht ein, um den Ursprung des Feindfeuers ausmachen zu können.

Das war genau das Ergebnis, das sich Cassiel erhofft hatte.

Mit einem Gedankenbefehl erhöhte er den Output seines Power Plant auf das Maximum und sprang auf die Beine. Anstatt seinen ursprünglichen Lauf fortzusetzen, sprintete er direkt auf die über dem Boden hovernde Valkyrie zu.

‘Wir sind die Erste Legion. Die Söhne des Löwen.’

Cassiels Schritte donnerten über das Schlachtfeld. Wo immer er auftrat, splitterte der Rockcrete unter der Wucht seiner Stiefel.

‘Unser Leben ist Pflichterfüllung. Unser Auftrag ist Vernichtung.’

Die Valkyrie stemmte sich gegen die Einschläge des Geschosshagels und versuchte ihre Bordwaffen auf den feuerspuckenden Dreadnought auszurichten. 

‘Wir sind die unbeirrte Klinge des Imperators.’

In einer fließenden Bewegung zog Cassiel Punitas aus der Scheide auf seinem Rücken. Mit einem blutrünstigen Beben erwachte das Kraftfeld des antiken Schwertes in seiner Hand.

‘Wir sind Sein rechtschaffener Hass. Wir sind Seine unvermeidliche Vergeltung.’

Noch hatte das monströse Gunship seinen Ansturm nicht bemerkt. Zu sehr war die Crew damit beschäftigt, der direkten Bedrohung durch den Leviathan zu begegnen. 

Rot leuchtende Zielerfassungsrunen tauchten in Cassiels Blickfeld auf, während die Kogitatoren in seiner Gravis Rüstung Schwachstellen in der Panzerung des Ungetüms identifizierten.

‘Wir sind die Jäger der Gefallenen. Tut Buße, denn morgen werdet Ihr Tod sein.’

Mit einem Klicken aktivierte Cassiel die Power Fist an seinem linken Arm. Gelbe, hysterisch blinkende Runen warnten ihn vor der drohenden Überlastung seines Power Packs. Cassiel ignorierte die Anzeigen und beschleunigte seinen Sprint noch einmal. 

Nur noch ein paar Meter…

‘Für das Ewige Imperium. Für den Löwen.’

Cassiel sah, wie der Gunner im Cockpit der Valkyrie den Kopf drehte und aufgeregt in seine Richtung zeigte. Der Pilot versuchte panisch, das massive Gefährt zu wenden.

Doch es war zu spät. 

Mit einem gewaltigen Satz stieß sich Cassiel vom Boden ab und sprang direkt auf die Valkyrie zu.

‘Für. Den. Imperaaaatooooor!’

Für einen Moment schien sich die Welt zu verlangsamen und die Schlacht um ihn herum versank im Hintergrundrauschen. Er hörte das dumpfe Aufheulen der Triebwerke. Sah die in Panik weit aufgerissenen Augen der Verräter im Cockpit. Nahm war, wie Bruder Castor das Feuer auf die Valkyrie augenblicklich einstellte.

Im Sprung wirbelte er die Klinge von Punitas in einem umgekehrten Schwertgriff herum, kurz bevor er sie mit aller Wucht kurz unterhalb der Cockpitscheibe in die Panzerung der Valkyrie trieb. Das Breitschwert drang mit einem wütenden Kreischen bis zum Heft in die Nase des Gunships ein, zerschnitt Avionik, Augur Arrays und Flugkontrollen und trat zischend an der Unterseite wieder hervor. Cassiel umklammerte den Griff des Schwertes und nutzte es als Hebel, um seinen Sprung direkt auf die Valkyrie zu lenken. 

Mit einem donnernden Knall entlud sich seine Power Fist, als sie die Cockpitscheibe durchschlug. Der Pilot wurde von der Explosion des Energiefeldes und der Wucht seines Schlages in seinem Sitz atomisiert. Der dahinter sitzende Gunner schaffte es noch, einen kurzes Schrei des Entsetzens aus seinen Lungen zu pumpen, bevor das Feuer der Explosion ihm das Fleisch von den Knochen brannte. Der gesamte vordere Teil des Gunship zerbarst in einer schrecklichen Detonation, durch die Cassiel wie ein Engel mit flammenden Flügeln hindurch getragen wurde. 

Mit einem Krachen landete der Space Marine auf dem Boden unter der taumelnden Valkyrie, gestützt auf sein Schwert, ein Knie am Boden und mit gesenktem Haupt.

‘Ego Te Absolvo.’

Für einen Moment verharrte er auf dem Schlachtfeld, einer der großen Statuen in der Ordensfestung von Allhallow gleich, während die Reste der zerstörten Valkyrie über ihn hinweg trudelten. Splitter und Trümmerteile glitten von seiner Rüstung ab oder wurden knisternd von seinem Energiefeld abgefangen. Das führerlose Gunship begann sich wild um die eigene Achse zu drehen. Die Triebwerke heulten verzweifelt ein letztes Mal auf, bevor die Heckflosse des Gunships über den Boden kratzte und kurz darauf die ganze Maschine in einer ohrenbetäubenden Detonation verging.

Als Cassiel sich schließlich aufrichtete, hörte er die entfernten Jubelrufe aus den Reihen der Catachaner. Das Biest war bezwungen und erlegt. 

Sein Sieg jedoch war nicht ohne Kosten errungen worden. Mit grimmigen Blick stellte Cassiel fest, das die massive Explosion einen Teil der Werkstatt mit erfasst und die dort kämpfenden Truppen verheert hatte. Zwei seiner Brüder waren in den Flammen zum Imperator aufgestiegen, zwei weitere schwer verletzt.

“Ehre und Pflichterfüllung”, meldeten die Angels über das Voxnet – gleichzeitig als Bestätigung für seinen Abschuss und in Trauer um ihre gefallenen Kameraden.

“Die Legion der Sühne erfüllt immer ihre Pflicht”, gab Cassiel traditionell zurück, während er sich seinen Weg um das brennende Wrack in Richtung der Werkstatt bahnte.

“Die Offensive der Menturi ist ins Stocken gekommen”, hörte er Enael angestrengt in seinem Ohr. “Es peinigt mich aber sagen zu müssen, dass Ihr nicht der Grund dafür seid, Master.”

„Erkläre Dich“, gab Cassiel zurück und hielt in seinem Lauf inne. Er sah, wie die Truppen der Menturi, die inzwischen auch die Werkstatt umschlossen hatten, sich geordnet aber stetig zurückzogen. Einige von ihnen setzten Gasmasken auf.

„Seht selbst, Master. Im Westen,“ folgte Enaels Meldung kurz darauf.

Cassiel drehte sich herum und blickte in die erklärte Himmelsrichtung. Er sah, wie sich langsam eine weiße, schwerfällige Wolke über dem Schlachtfeld auszubreiten begann. Der Nebel schien aus dem nichts zu kommen und schob sich in wabernden Tentakeln über den Boden. 

Ein Vendetta Gunship der Menturi, dass gerade zu einem Angriffsflug auf Enaels Stellung angesetzt hatte, geriet in den Nebel – und kurz darauf außer Kontrolle. Wie ein Stück Rockcrete fiel das Gunship zu Boden und explodierte in einer gleißenden Promethium Wolke.

WARNING.

Pathogen detected!

Cassiels Autosenses hatten begonnen, den weißen Nebel zu analysieren.

Type: Unknown

Lethality Qualification: Highly Potent

Armor Filtration Capability: 40%

Immunity Probability: Undetermined

Threat Level: Immanent

„Eine Biowaffe“, urteilte Cassiel über den internen Funkkanal der Angels of Absolution. “Wir halten Position. Feuer auf harte Ziele der Menturi konzentrieren aber nicht nachrücken. Wir evaluieren die Bedrohung. Ich rede mit Kustar. Ausführen.”

Während die Bestätigungen seiner Untergebenen visuell in sein Interface eingeblendet wurden, wechselte Cassiel den Funkkanal.

“Angels Command für Drakebats Actual.”

“Kustar hört”, klang es augenblicklich aus Cassiels Voxset.

“Sind Sie sich der neuen Situation bewusst, Colonel?” fragte Cassiel ruhig, während er die Ruine der Mechanicum Werkstatt betrat.

“Mit Verlaub, Mylord: Was beim Catachanischen Teufel geht da draußen vor sich?”

Kustar klang gefasst, aber Cassiel hörte die Verunsicherung in der Stimme des menschlichen Kommandanten.

“Es hat den Anschein als hätten die Menturi eine Biowaffe freigesetzt. Leiten Sie Schutzmaßnahmen ein und bereiten Sie Sigma-Theta auf mögliche Quarantäne und Dekontaminierung vor. Wie ist ihre Situation?”

“Beschissen trifft’s nicht mal ansatzweise”, schoss es aus Colonel Kustar heraus, offensichtlich ohne vorher über seine Wortwahl nachgedacht zu haben. “Verzeihung, Mylord. Erst werden meine Männer urplötzlich vom Mechanicum zusammengeschossen, jetzt verrecken sie wie die Fliegen an Nervengas. Das ist ne Shitshow erster Güteklasse da draußen.”

“Mäßigen Sie sich, Colonel. Können Sie Stellung halten?”

“Nicht mehr lange, wenn’s so weitergeht. Die linke Flanke bricht gerade zusammen und wird nur noch von ihren Brüdern gehalten, Mylord. Die Bastion liegt in Trümmern und im Zentrum müssen wir vor diesem Seuchennebel zurückfallen.”

“Ich verstehe. Halten Sie ihre Position, Colonel. Sie hören in Kürze von mir.”

“Mylord, wir müssen…”

Cassiel unterbrach die Funkverbindung mit dem HQ der Catachaner. 

Er nahm dem Colonel seine Respektlosigkeit nicht übel. Gylbert Kustar war ein fähiger, engagierter und erfahrener Kommandant. Sein einziger Fehler war vielleicht eine zu tiefe emotionale Bindung an seine Truppen. Aber wenn Colonel Kustar eine Situation als düster einschätzte, war das nicht einfach von der Hand zu weisen.

Mit einem Gedankenbefehl aktivierte Cassiel die blinkenden Voxnet-Runen, die auf Beantwortung warteten.

“Master, die Filtrierungssysteme der Power Armor sind nicht ausreichend.” Librarien Enaels Stimme klang ungewohnt angestrengt. “Die Biofilter der Phobos Panzerungen sind nur zu 20% effektiv, ich registriere erste Immunabwehrreaktionen bei Sergeant Levians Incursors. Ihre Körpertemperatur steigt seit dem Kontakt mit dem Nebel konstant an. Ich bin kein Medicae… aber ich glaube… sie haben Fieber.”

“Fieber?” fragte Cassiel ungläubig, nur um sich kurz darauf zu Ärgern, für einen kleinen Moment seine Fassung verloren zu haben.

“Ich weiß es nicht anders zu deuten, Cassiel. Die Gravis Rüstung scheint etwas mehr Schutz zu gewähren, aber auch da liegt die Filtrierung unter 50%. Und ich denke es ist kein gutes Zeichen, dass das Hyperimmunsystem derartig massiv auf eine Exposition reagiert.”

“Verstanden,” gab Cassiel kurz zurück und wechelste den Funkkanal erneut. “Lance of the Lion, Eternal Punisher – SitRep.”

“Alle Systeme grün,” meldete sich der Primaris Tank Commander des Repulsor Executioner Eternal Punisher als erstes. “Bekämpfen Feindkräfte auf Distanz. Mechanicum Verräter im Rückzug. Fahrzeug im Verschlusszustand. Keine Exposition im Innenraum gemessen.”

“Alle Systeme grün. Unterstützen Eternal Punisher. Company Comms Relay aktiv ohne Unterbrechung. Keine Exposition.” komplettierte der Commander des Rhino Primaris den Bericht.

Cassiel quittierte den Empfang der Berichte mit einem Gedanken. Die Fahrzeuge schienen also vorerst Sicherheit zu bieten. Doch ohne zusätzlichen Vehicle Support hatten sie aktuell nicht mal genug Platz, um die eigenen Truppen aufzunehmen – geschweige denn die Catachaner.

“Master, ich bitte um Verzeihung für die Dringlichkeit”, tönte Enaels inzwischen höchst angestrengt klingende Stimme in Cassiels Voxset. Der Librarian hatte augenscheinlich mit Absicht eine Notfallfrequenz benutzt. “Die linke Flanke bricht zusammen und das Zentrum beginnt sich aufzulösen.”

“Ein erneuter Ansturm der Menturi?”

“Negativ. Die Menturi sind auf der Flucht. Wir aber haben inzwischen über 50% der Catachaner verloren. Die Menschen kippen reihenweise um, direkt vor meinen Füßen. Gleichzeitig scheint sich die Infektionen in unseren Brüdern auszubreiten. Wir hatten gerade die ersten Verluste unter Levians Incursors. Kampfunfähig, nicht Tod. Aber allem Anschein nach todkrank.”

Cassiel brauchte einen Moment, bis er sich zu einer Antwort durchringen konnten.

Sie waren die Erste Legion. Die unerbittlichen Vernichter des Imperators.

Sie bekämpften jeden Feind… Verräter… Mutanten… Xenos… Häretiker – egal was dieser ihnen auch entgegen werfen würde.

Doch wie bekämpften sie einen Feind, der gar nicht angreifbar war?

Gegen den Flamme und Schwert, Bolter und selbst der eiserne Wille der Söhne des Löwens nichts auszurichten vermochte?

Sie würden es herausfinden.

Aber nicht heute.

“Enael, Dariel, Kaelon: Castellan Protokoll” Cassiel hatte einen Voxkanal an alle Offiziere der Angels geöffnet. “Wir decken die Exfiltration der Menschen. Lance, Punisher: Zu Verbündeten aufschließen und in sicherer Zone überschüssige Kräfte aufnehmen. Wir exfiltrieren nach Safe Zone Sigma-Theta für Debriefing und Analyse. Ich informiere Kustar. Ausführen.”

Auch wenn die Angels of Absolution wie alle Orden der Legion der Sühne für ihre stoische Leidensfähigkeit bekannt waren, konnte Cassiel nicht umhin, die Erleichterung über diesen Befehl in den Bestätigungen seiner Untergebenen zu spüren. 

Keinem wahren Sohn des Löwen war es wohl dabei, eine Stellung aufgeben und sich zurückziehen zu müssen – aber bei aller Beharrlichkeit waren die Legionäre von Caliban nicht dumm. Sinnloser Kadavergehorsam gehörte eindeutig nicht zu den Dingen, die der Primarch seine Söhne gelehrt hatte.

“Drakebats Actual, kommen.”

“Kustar hört.”

“Sind Sie bereit zur Exfiltration?”

“Danke, Mylord. Ich gebe umgehend den Befehl.” Cassiel hörte, wie Colonel Kustar abseits des Voxsets gestikulierte und leise ein paar Codewörter weitergab, bevor er sich wieder dem Mikrofon zuwandte. “Werden Sie und ihre Brüder das Manufactorum halten können, Mylord? Zumindest bis wir ausgerüstet und aufmunitioniert zurück sind?”

Cassiel erfreute es in Kustar erneut den Mann zu sehen, mit dem er eine wichtige Eigenschaft des Kriegers teilte: Kustar gab sich genauso ungerne geschlagen wie er selbst.

“Negativ”, musste ihm Cassiel dennoch entgegnen. “Wenn auch nicht in gleichem Maße, scheinen auch wir nicht unempfindlich gegen den Kampfstoff zu sein.”

“Aber, ich nahm an das Space Marines gegen jegliche Art von Krankheit immun sind…”

 

“Dies ist keine Diskussion, Colonel. Wir wurden mit einer neuartigen Waffe konfrontiert. Diese Waffe hat jeden Aussicht auf eine Verteidigung des Manufactorums zu Nichte gemacht. Führen Sie meine Befehle aus.”

“Ja, Mylord.”

“Wir werden an einem anderen Tag die Chance bekommen, unser Leben für den Imperator zu geben.”

 

Mit einem Klicken endete der Funkkontakt. 

Das statische Rauschen des Voxnet wurde unmittelbar vom Dröhnen der Triebwerke des massiven Storm Hawk Gunships ersetzt, dass über Cassiel hinweg hoverte und direkt vor ihm in den Sinkflug ging. Noch bevor die Heckrampe den Boden berührt hatte, war Cassiel vom Dach der Werkstattruine auf die Rampe aufgesprungen. 

Das majestetische Dropship erhob sich augenblicklich wieder und drehte eine steile Kurve über das Manufactorum.

 

Auf der anderen Seite des Schlachtfeldes sah Cassiel, wie die Menturi Verräter eilig ihre verbliebenen Fahrzeuge bestiegen und sich in die entgegengesetzte Richtung zurück zogen. Der weiße, dicke Nebel breitete sich Stück für Stück weiter über Straßen und Gebäude aus, verschlang sie förmlich in seiner milchigen Masse. 

 

Als der Storm Hawk größere Höhe erreicht hatte, konnte Cassiel das volle Ausmaß der Ausbreitung erkennen. Das Manufactorum Alpha-2 war nur die Spitze einer massiven Nebelwand, die sich quer durch den Hive bis zum gigantischen Krater im Nordosten zog. Aus der waberndern Trennwand des Nebels zogen sich bereits weitere Tentakel nach Osten und Westen – Stück für Stück nahmen sie die Stadt in sich auf.

 

Wenn dies eine Waffe war, wurde Cassiel schlagartig bewusst, dann war sie eindeutig außer Kontrolle geraten.

 

Vielleicht aber waren hier noch sinistre Kräfte am Werk.

 

Cassiel blickte finster auf den riesigen Krater in der Entfernung.

Eine Pestilenz des Warp.

Ungestört, Unbeeinträchtigt. Unaufhaltsam.

Möge der Imperator Ihnen gnädig sein.

 

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