Donnerndes Stampfen.
Das leise Klackern von kleinen Steinbrocken, die aus der Mauer brechen.
Ohrenbetäubender Geschützdonner, das Rattern der Autokanonen, die Hitze der Laserbatterien. Feuer. Einschläge. Schreie.
„Lieutenant?“
Ein schrilles Kreischen. Ein Totenschädel mit flammenden Augen.
„Lieutenant Treis?“
Hitze. Unbeschreibliche Hitze. Unbeschreibliche Schmerzen.
„Lieutenant Kyla Treis! Kommen sie zu sich!“
Treis riss die Augen auf.
Ihre Sicht war verschwommen und unscharf. Der Geruch von Schweiß und Desinfektionsmittel stieg ihr in die Nase. Sie hörte sich selbst schwer atmen.
Auf der linken Seite ihres Sichtfeldes erschien eine rote Linie. Kurz darauf flogen die Zahlen einer Bootsequenz durch ihr Sichtfeld. Ein Mechanikum Siegel erschien – ein kurzer Schmerz durchzucke Treis. Dann nahm ihr bionisches linkes Auge den Dienst auf.
An ihrem Krankenbett stand ein Mann mittleren Alters in tadelloser roter Uniform. Der Commissar hatte einen für ihn ungewöhnlichen Gesichtsausdruck – er sah besorgt aus.
„Geht es ihnen gut, Lieutenant? Soll ich die Medicae verständigen?“
Treis schüttelte als Antwort nur kurz den Kopf. Sie wischte sich den Schweiß von den Armen und der Stirn – und blieb dabei unwillkürlich am kalten Metall ihres Implantates hängen, dass nun einen Großteil ihrer linken Gesichtshälfte einnahm. Der restliche Teil ihrer Kopfhaut war mit den Narben einer schweren Verbrennung übersäht, die nur vor der rechten Seite ihres Gesichts halt gemacht hatte.
Der Commissar stand immer noch wie angewurzelt vor ihrem Bett, und Treis fühlte sich bemüßigt ihn noch weiter zu beruhigen.
„Es geht mir gut, Sir. Die Medicae sagen, solche ‚Episoden‘ sind normal nach so einem schweren Eingriff. Sie haben mir immerhin den halben Schädel mit Marsstahl ersetzt und alles drin neu verdrahtet.“
Der Commissar setzte sich, verlor aber keineswegs seine besorgte Miene. Er öffnete eine lederne Mappe mit dem imperialen Siegel des Commissariats darauf und blätterte durch ein paar Seiten.
„Wir müssen das nicht heute machen, Lieutenant. Sie wissen, dass solche Nachbesprechungen durch das Commissariat sehr anstrengend und… unangenehm werden können. Fühlen sie sich in der Lage, fortzufahren?“
„Bringen wir es hinter uns, Otron.“
„Nun gut… Wo waren wir? Laut dem After Action Report war ihr Trupp zur Absicherung der HQ Position in der Ruine des Schreins des Heiligen Aquila eingeteilt – Colonel Kustars Command Post… Die angreifenden Feindkräfte waren größtenteils schwer gepanzert… Dreadnoughts, Warhounds, Demon Engines, sogar ein Chaos Knight – nichts wogegen die Waffen ihres Trupps große Wirkung gezeigt hätten. Eine nahezu aussichtslose Situation…“
„Der Imperator beschützt. In seinem Namen zählt nur der Wille, nicht die Waffe.“
Der Commissar nickt kurz in Anerkennung von Treis Textbuch-Antwort.
„Dennoch ist es unbestritten, dass die Chancen gegen sie standen – insbesondere nachdem die schweren Waffen ihres Platoons ausgeschaltet waren.“
Weit entfernte, verzerrte Todesschreie hallten in Treis Hinterkopf wieder.
„Der Feinde legten gezieltes Feuer auf unsere schweren Waffen. Insbesondere die Panzer hatten zu leiden, aber unsere Jungs traf es auch ziemlich hart…“
„…und der Knight nahm direkten Kurs auf ihre Position…“
Die Erde vibrierte mit jedem donnernden Schritt des gigantischen Kampfläufers. Eine kalte Faust schloss sich um Treis Herz – sie musste ihre ganze Kraft zusammen nehmen, und nicht erneut in den finsteren Nexus der Erinnerung gezogen zu werden.
„Nicht ganz,“ antwortete sie schnaubend, „sein Feuer konzentrierte sich auf den Punisher links von uns und die Engel des Imperators.“
„Oh ja… die Angels of Absolution. War das ihr erster Einsatz an der Seite von Space Marines?“
Treis warf dem Commissar einen fragenden Blick zu, und er ergänzte seine Frage: „Ich muss das Fragen, auch wenn ich die Antwort schon kenne.“
„Ja, Commissar“, antwortete Treis steif. „Ja, es war mein erster Einsatz an der Seite von Space Marines, Sir.“
„Sind sie mit einem oder mehreren der Space Marines in näheren Kontakt gekommen.“
Der Totenschädel mit den flammenden Augen brannte sich in Treis Sichtfeld. Sie musste mehrfach zwinkern, bis das Bild endlich verschwand.
„Nein, Sir. Ich hatte keinen näheren Umgang. Die Angels haben auf einer anderen Flanke gekämpft. Erst gegen Ende der Schlacht bekamen wir zwei von ihnen zu Gesicht. Sie unterstützen uns im Kampf gegen die Demon Engines.“
„War der Knight zu diesem Zeitpunkt schon gefallen?“ fragte der Commissar beiläufig, aber Treis spürte wie er zum eigentlichen Thema der Befragung lenkte.
„Ja,“ antwortete sie knapp. „Der Knight war bereits ausgeschaltet.“
Der Commissar warf ihr einen auffordernden Blick zu, den Treis eisern erwiderte. Als Otron verstand, dass Treis nicht unaufgefordert weiter sprechen würde, atmete er langsam aus und klappte die Ledermappe zusammen.
„Es will einfach nicht in meinen Kopf, Lieutenant,“ begann Commissar Otron in einem ruhigen Tonfall. „Wie kann ein Sergeant, auch wenn er von Catachan kommt, allein mit seinem Kettenschwert einen mächtigen Knight des Erzfeindes zu Fall bringen? Erklären sie es mir! Die Berichte sind eindeutig, vom AAR über die Aussagen aller beteiligten Offiziere und Mannschafter. Alle behaupten, dass sie es waren, die dem Knight den Todesstoß verpassten – aber keine konnte mir berichten, wie es dazu kam.“
Treis senkte den Kopf.
„Nun?“
Stille.
„Antworten sie mir, Lieutenant!“
Hitze. Wankender Boden. Ein glühender Krater in riesigen Panzerplatten. Der Gestank von geschmolzenem Metall und verschmorten Kunststoff. Das Gewicht des Kettenschwertes in ihrer Hand. Ohrenbetäubendes Kreischen.
„Sie wissen, dass ich sie für eine Verweigerung der Aussage schwer bestrafen kann! Also antworten sie mir, Soldat!“
Treis Puls pumpte in ihren Schläfen. Schmerzensschreie gellten an ihr Ohr. Kreischen. Gehärteter Stahl kratzt auf verrottetem Adamantium. Sie fühlte wie die Dunkelheit wieder nach ihr Griff und versuchte, Treis zurück in den Nexus aus Schmerz und Erinnerung zu ziehen. Das Krankenbett verschwamm, ihr bionisches Auge zeigte sinnlose Zahlen und Buchstaben, der Boden begann zu wanken.
„Es ist genug, Herr Commissar.“
Die tiefe, mechanisch verzerrte Stimme erfüllte das Lazarettzelt wie ein Donnergrollen. Sie riss Treis aus den Fängen der alptraumhaften Erinnerung und katapultierte sie augenblicklich ins hier und jetzt zurück. Commissar Otron war so überrascht und erschrocken, dass er von seinem Stuhl aufgesprungen war.
„Es ist wahr, was über den Lieutenant berichtet wird,“ donnerte die sonore Stimme weiter. „Ich war dabei.“
Aus einer dunklen Ecke des Lazarettzeltes erschien ein weißer Totenschädel mit rot glühenden Augen.
Treis fühlte, wie ihr plötzlich kalt wurde. Sie zog die Decke enger um sich und starrte auf die massive Gestalt, die sich wie aus dem Nichts manifestiert zu haben schien.
Schwarz glänzende Ceramitplatten bildeten eine schmuckvolle Panzerung, die in Teilen von einer dunkelgrünen Robe verdeckt wurde. Einzig die linke Schulterpanzerung war in knochenfarben gehalten und zeigte das Symbol eines geflügelten Totenkopfs. An vielen Stellen waren kunstvoll Texte in die Panzerplatten geätzt worden und eine ganze Reihe von Reinheitssiegeln zierte verschiedene Stellen der Power Armor. Der Helm des Space Marines war strahlend weiß und hatte die Form eines Totenschädels – dessen Visiere rot in der Dunkelheit leuchteten.
„Und ihr seid, my Lord?“ fragte Commissar Otron, während er den Griff um den Knauf seines Energieschwertes lockerte und versuchte, wieder Haltung anzunehmen.
Der Space Marine trat langsam ein paar Schritte nach vorne, bis er direkt vor Treis Bett stand. Er überragte den Commissar über gut anderthalb Kopflängen.
„Ich bin Brother-Chaplain Setheus, Ordenspriester des Adeptus Astartes seiner Heiligkeit des Imperators, Angels of Absolutions Chapter, 6. Kompanie.“
Mit einer schnellen Kopfdrehung wandte er seinen unheilvollen Blick direkt dem Commissar zu. „Und ich bürge mit meinem Ehrenwort als Sohn des Löwen für die Heldentaten dieses Lieutenants. Sie hat dem Imperator gedient wie kein anderer Sterblicher in dieser Schlacht – und sie hat den Preis für die Erfüllung ihrer Pflicht bezahlt. Das zu wissen, sollte wiederum ihrer Pflicht genüge tun, Commissar.“
Treis sah, wie Otron mit sich kämpfte und etwas erwidern wollte, doch letztendlich hielt er dem feurigen Blick des Ordenspriesters nicht stand. Der Commissar nickte, murmelte etwas, dass wie „ja, my Lord“ klang und wandte sich zum gehen.
„Commissar Otron“, hielt Treis den Offizier am Eingang des Zeltes auf. Sie hatte plötzlich Mitgefühl mit dem Commissar. Niemand im Astra Militarum mochte es, von einem Space Marine auf diese Art und Weise abgefertigt zu werden, und die Söhne des Löwen waren bekannt für ihre überhebliche Haltung den Sterblichen gegenüber.
„Es tut mir Leid, dass ich momentan keine größere Hilfe bin. Sobald ich mich besser erinnern kann, lasse ich es sie wissen.“
Commissar Otron nickte Treis zu, salutierte mit dem Antippen an den Schirm seiner Offiziersmütze und verschwand aus dem Zelt.
Treis wandte ihren Blick dem Space Marine zu und konnte sich dem Gefühl nicht erwehren, dass der Ordenspriester leicht amüsiert über das Verhalten der Menschen war.
„Was führt Euch zu mir, my Lord?“ fragte sie schließlich mit einem Seufzer der Anstrengung. Der Space Marine wandte sich ihr wieder zu.
„Haben sie Schmerzen, Lieutenant?“ fragte die bassige, vom Voxgrill verzerrte Stimme des Space Marine, während er mit einem gepanzerten Finger auf sein linkes Auge deutete.
„Aushaltbar,“ antwortete Treis wahrheitsgemäß. „Ich habe mich noch immer nicht an das Implantat gewöhnen können und kämpfe mit der Kalibrierung. Was schwerer wiegt sind die Erinnerungen: ich kann sie nicht klar sehen, sie kommen in Fetzen – aber jede einzelne ist schmerzhaft.“
Zu ihrer Verwunderung griff der Ordenspriester mit beiden Händen seinen massiven Totenkopf-Helm, entriegelte sie Verschlusssiegel und nahm den Helm vom Kopf. Das Gesicht darunter war älter als Treis erwartet hatte, mit stechend braunen Augen und einer blassen Haut, die sich über kräftige Schädelknochen spannte. Kein einziges Haar konnte Treis am Kopf des Space Marine ausmachen. Einzig eine tief eingebrannte Tätowierung schmückte die breite Stirn des Priesters: Sie zeigte das gleiche Symbol wie auf der Schulterpanzerung, einen geflügelten Totenschädel.
Brother-Chaplain Setheus ließ mit dem Magnetverschluss den Helm an seinem Gürtel einschnappen. „Dieser Erinnerungsschmerz, Lieutenant“, hob der Ordenspriester in fast vertraulichem Tonfall an, „das ist etwas, dass das Librarius als Mark des Chaos bezeichnet. Der Warp ist in ihre Gedanken vorgedrungen und hat ihre Erinnerung korrumpiert.“
Treis Herz begann erneut zu pochen.
Korrumpiert? Wann immer im Astra Militarum jemand dieses Wort gebrauchte, wurde kurz darauf irgendwer von der Inquisition abgeholt.
„Kein Grund zur Sorge…,“ fuhr Setheus fort, dem Treis Reaktion kaum entgangen sein konnte, „…solange sie lernen damit umzugehen. Ihre Heldentat hat sie mehr gekostet als nur ein Auge. Wenn sie es nicht unter Kontrolle bekommen, wird es Sie ihre Seele kosten.“
„Kein Grund zur Sorge, also…“ murmelte Treis zynisch.
„Sind sie schon zuvor mit den Verrätern der dunklen Göttern in Kontakt gekommen, Kyla Treis?“ fragte Setheus fast nebensächlich, doch Treis fühlte sich augenblicklich als wäre sie in einem Verhör.
„Nein, my Lord.“ erwiderte sie. „Noch nie.“
„Sie haben sich gut geschlagen – für eine Sterbliche. Ihr Wille ist beachtlich.“
„Danke, my Lord.“
„An was erinnern sie sich tatsächlich von der Schlacht, Lieutenant?“
Obwohl die Frage in ruhigem, fast freundlichem Tonfall gestellt war, lief Treis ein kalter Schauer über den Rücken. Sie nahm sich Zeit, bevor sie schließlich antwortete.
„Ich erinnere mich an alles, bis das Monstrum direkt vor uns stand. Der Gestank war bestialisch – eine Mischung aus Rauch, verbranntem Öl und… Verwesung.“
„Erinnern sie sich an bestimmte Banner, Markierungen, Symbole?“
Treis schaute ihn verwundert an, aber der ernste Blick des Space Marine blieb unverändert. Sie dachte einen Moment nach.
„Ich… erinnere mich an ein Banner. Es flatterte in den Druckwellen der Explosionen. Es war zerrissen.“
„Was war auf dem Banner, Lieutenant?“ fragte der Ordenspriester mit hörbarem Nachdruck.
„Ich… es war… eine Flamme. Das Symbol einer Flamme. Nein!“ Plötzlich war Treis hellwach. „Es war ein flammendes Schwert! Ein flammendes Schwert mit einer in viele Stücke zerbrochenen Klinge.“
Treis schaute den Space Marine triumphierend an, doch sein Blick blieb für sie unergründlich.
„Danke, Lieutenant.“ sagte der Ordenspriester schließlich in sonorem Ton. „Gibt es sonst noch etwas, an dass sie sich erinnern können?“
„Ich erinnere mich nur an Bruchstücke. Ein lautes, mechanisches Kreischen. Ein rotglühender Krater. Wankende Erde. Nichts spezifisches leider, my Lord.“
Treis fühlte, wie sich langsam kriechend wieder ein Schatten über ihre Gedanken legen wollte. Verbissen kämpfte sie die Erinnerungsvisionen zurück, die in ihr aufsteigen wollten.
„Der Warp greift nach Ihnen, Lieutenant. Lassen sie es nicht gewähren.“
Treis nickte und konzentrierte sich. Langsam beruhigte sich ihre Atemfrequenz wieder – und die aufkeimenden Schreie in ihrem Kopf verstummten.
„Sie haben eine lange Reise vor sich, Kyla Treis.“ sagte Brother-Chaplain Setheus, während er sich seinen Helm wieder aufsetzte und verriegelte. „Was uns begegnete war nur die Vorhut der Verräter. Uns steht eine lange Kampagne bevor, und die Mächte der falschen Götter sind stark. Sie werden all ihre Kraft brauchen, wenn sie dem Imperator dienen wollen – und dabei bei Sinnen bleiben.“
Treis nickte. „Das heißt, die Angels werden weiter an unserer Seite kämpfen, my Lord?“
Anstatt eine Antwort zu geben, wandte sich der Ordenspriester zum gehen. Seine massive, gepanzerte Silhouette schob sich unter dem leisen Surren der Servorüstung zum Ausgang des Zeltes. Bevor er hinaus trat, wandt sich der Totenschädel mit den roten Augen ihr nochmal zu.
„Enttäuschen sie mich nicht, Lieutenant.“