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Angels of Beltrice – Die Weiße Seuche
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Die gepanzerte Faust hämmerte mit solcher Wucht auf die Tischplatte, dass das darin eingelassene kristalline Display in tausende Splitter zerbarst. Flackernd erloschen die Anzeigen des Bildschirms.
Mit einem schrillen Kratzen wurde die Hand langsam zurückgezogen. Die massive, in eine dunkle Robe gekleidete Gestalt, zu der die Hand gehörte, drehte sich langsam um, ging schweren Schrittes zu einem der großen Gadenfenster – und starrte hinaus.
Primaris Master Cassiel sah sich in der großen, gotisch geschwungenen Kammer um. Die Blicke von Interrogator-Chaplain Setheus, den versammelten Knights of the Court und anderen, längeren Weggefährten des Company Masters bestätigten seine Befürchtung: sie waren ähnlich geschockt vom plötzlichen Ausbruch des sonst so ruhigen und gefassten Lord Galmon wie er selbst in diesem Moment.
Der Courtroom, in dem alle wie angewurzelt standen, war gut gefüllt: Lord Galmon hatte zur Audienz nicht nur seinen Inneren Zirkel berufen, sondern diesmal alle verfügbaren höheren Offiziere der Angels of Absolution auf Beltrice versammelt. Dies führte teilweise zu absurden Bildern, als sich die ersten Brother-Captains der neuen Primaris Kontingente neben ihre zwar erfahrenen, aber durchweg kleineren Cousins stellten. Die ursprünglich hier stationierte 6. Kompanie der Angels war seit dem Ereignis vor rund einem Jahr deutlich gewachsen: Primaris Spezialkräfte und sogar einiges an schwerer Maschinerie hatte es in die Stadt geschafft, nachdem Unterstützung außerhalb von Beltrice Major gelandet werden konnte.
Leider war das nur ein Bruchteil von dem, was noch im Orbit hing, das wusste Cassiel. Doch schon mit diesem Support hätten sie die Lage in der Stadt eigentlich unter Kontrolle bringen müssen. Vor Monaten schon.
Wenn nicht diese verfluchte Seuche wäre.
Master Cassiel blickte an Lord Galmons massiver Gestalt vorbei und hinaus aus dem Gadenfenster. Alles, was er dahinter sehen konnte war ein langsam wabernder, milchiger Nebel, der nur von Zeit zu Zeit schemenhaft die Umrisse der umliegenden Bastionsgebäuden erahnen ließ.
Seit Monaten war Riggard’s Rock, die Ordensfestung und das Hauptquartier der Angels of Absolution in Beltrice Major, dick von diesem weißen, kränklichen Nebel umschlungen – so wie große Teile des restlichen Hives auch.
Der verseuchte Dunst war ganz plötzlich aufgetreten, als die Kämpfe um die Stadt gerade richtig begonnen hatten. Cassiel erinnerte sich gut daran, wie er verbissen die Manufactorum Zone Alpha-2 – einen Zugang zum wichtigen Spaceport der Hive City – gegen verräterische Kräfte der Menturi verteidigt hatte, als der plötzlich auftretende, tödliche Nebel beide Seiten zum Rückzug zwang. Erst dachte er wie alle anderen, es handele sich um eine weitere Teufelei von den Giftmischern der Death Guard, doch bald wurden sie alle eines besseren belehrt: die Kräfte des Chaos litten unter dem Kontakt mit dem Nebel mindestens genauso wie die Truppen des Imperiums.
Der tödliche Dunst war so aggressiv, dass ihn auch die Filtersystemen der Power Armor nicht abhalten konnten und selbst die eigentlich krankheitsresistenten Space Marines wie alles andere jämmerlich verrecken ließ. Dabei schien die ausgelöste Infektion ständig andere Formen anzunehmen – von üblichen Viruserkrankungen bis zu den exotischsten Infekten schien jeder Infizierte anders betroffen, und fast alle Verläufe endeten mit einem qualvollen Tod. Eine Handvoll Primaris Marines hatten den Erstkontakt mit der Seuche scheinbar überlebt, waren aber immer noch zu schwach um auch nur einen geraden Satz sprechen zu können. Die Catachaner unter Colonel Kustar und insbesondere die PDF von Beltrice hatte es besonders hart getroffen – dort mussten Tausende den verschiedensten Krankheiten erlegen sein.
Wie der Nebel auf die Mächte des Chaos wirkte, war noch nicht völlig klar. Der eindrucksvollste Bericht war der kurze Pict-feed des Kill Teams Galahel, auf dem erkennbar war, wie Chaos Marines der Death Guard vor dem Neben zurückweichen, nachdem zwei Mitglieder ihres Trupps buchstäblich davon aufgelöst worden waren. Anschließend hatte sich das Kill Team selbst zurückziehen müssen und war seitdem am Rande des Kraters festgenagelt, ohne Chance auf Entsatz oder die Beendigung ihrer Mission. Zudem gab es obskure Berichte, dass die Dämonen und Demon Engines zwar nicht so massiv, aber dennoch auf den Seuchennebel reagierten – anscheinend löste die weiße Masse ihre weltlichen Körper Stück für Stück auf, wodurch sie Gefahr liefen, wieder ins Immaterium gezogen wurden. Dies jedenfalls hatte Brother-Librarian Ammanuel vor kurzem als momentane Theorie geäußert – Cassiel selbst hatte wenig Gefühl oder Verständnis für alles, was mit den dunklen Geheimnissen des Warp zu tun hatte. Für ihn war die strategische Situation entscheidend: Alle Parteien im Kampf um Beltrice Major waren voneinander isoliert, abgeschnitten und nahezu bewegungsunfähig. Der Krieg, und die ganze Stadt, lag in einem unnatürlichen, oktroyierten Winterschlaf.
Doch so tödlich die Weiße Seuche auch war – sie war nicht ihr einziges Problem.
„Master Cassiel?“ Lord Galmons Stimme klang ruhig und gefasst. Er wandte dem Raum nach wie vor den Rücken zu. „Was wissen wir über das Menturi Void Shield?“
Cassiel wünschte in diesem Moment, dass er ausschließlich gute Nachrichten zu berichten hätte. Doch es half niemandem, wenn er die Lage beschönigte. Er war der zweithöchste Offizier der Kompanie, formal gleichrangig mit Lord Galmon. Die Anführer erwarteten klare, ehrliche Worte.
„Wir wissen nun, dass es nicht von den Menturi betrieben wird.“ Ein kurzes Raunen ging durch den Saal. „Oder zumindest nicht hauptsächlich.“
„Sondern von wem?“ fragte Lord Galmon, dessen volle Aufmerksamkeit jetzt auf Cassiel lag.
„Den Monoloi. Dem häretischen Kult innerhalb des lokalen Adeptus Mechanikus. Oder auch inzwischen dem ganzen Marskontigent hier, das wissen wir noch nicht mit Sicherheit. Es ist auch weiterhin unklar, in wie fern die Menturi mit den Monoloi verwoben sind. Es schienen vielerlei Experimente zu laufen, von denen die Menturi augenscheinlich selbst nichts wussten.“
„Aber wir sahen, wie sie Seite an Seite kämpften, Bruder“, warf Brother-Librarian Enael ein, der an Cassiels Seite beim erbitterten Gefecht um die Manufactorum Zone gestanden hatte.
„Das ist korrekt, Enael,“ stimmte Cassiel zu. „Allerdings war es bisher immer nur ein bestimmter Teil innerhalb der Menturi, die wir mit den Monoloi haben kooperieren sehen. Wir wissen nach wie vor nicht, wie Vikas Menturi zu all dem steht, seit sich die Elite im Spiretop verbarrikadiert hat.“
„Umso wichtiger scheint es, dass wir diesen Schild deaktivieren – wer immer ihn auch kontrollieren mag,“, fasste Interrogator-Chaplain Setheus die Situation in seiner gewohnt tiefen und höchst bedrohlich klingenden Stimme zusammen.
„Wir könnten im Orbit eine ganze Kreuzzugsflotte versammeln – ohne die Kontrolle über den Schild wird uns keine ernstzunehmende Verstärkung erreichen.“ Die beeindruckende Gestalt des Master of the Reclusiam wandte sich Lord Galmon zu, bevor er weiter sprach.
„Vielleicht sollten wir Kustars Angebot doch in Betracht ziehen, MyLord. Wenn er tatsächlich Zugriff auf Luftunterstützung hat, könnten die Menschen in diesem Fall von Nutzen sein.“
Lord Galmon überlegte, während der Rest des Raumes den Atem anhielt. Es war überhaupt nicht nach dem Geschmack der Angels, Unterstützung von Außen anzunehmen. Insbesondere nicht von den schwächlichen Menschen, die gerade ohnehin zu Tausenden in den Straßen verreckten.
„Ist bekannt, über welche Kräfte Kustar verfügen kann?“ fragte Lord Galmon ohne eine weitere Regung.
„Nicht genau, MyLord“ antwortete erneut Cassiel, der über den umfassendsten und aktuellsten Datensatz verfügte.
„Neben seinen eigenen Kräften ist in jedem Fall Unterstützung aus dem Orbit eingetroffen. Mindestens ein Regiment wurde gelandet, die 66th Acheron Airborne. Sie gilt als Eliteeinheit unter den Menschen. Zudem hat Kustar wohl Zugriff auf einen Air Wing der Imperial Navy. Der Liaisonoffizier am Boden heißt Vize Admiral Stephen. Er hat meines Wissens nach auch das Angebot für den Luftangriff gemacht. Direkt nach seiner Ankunft auf Beltrice.“
Cassiel versicherte sich mit dem Nicken des Interrogator-Chaplains, dass seine Infomationen korrekt waren.
„Nun gut.“
Lord Galmon drehte sich auf der Stelle herum und adressierte alle Umstehenden im Raum.
“Uns bleibt wenig andere Wahl. Wir müssen herausfinden, wer das Void Shield kontrolliert und wie wir es in unsere Gewalt bringen können.”
Galmon wandte sich direkt an Setheus.
“Wir geben Vize Admiral Stephens grünes Licht für die Luftstreitkräfte der Navy, Brother-Chaplain. Reine Aufklärungsoperation, keine Kampfeinsätze, keine Invasion auf eigene Faust. Ich selbst spreche mit Kustar.”
Der Interrogator-Chaplain nickte, wandte sich um und verließ den Raum.
Cassiel hoffte, dass die Menschen sich zurückhalten und brauchbare Ergebnisse liefern konnten. Seit seiner Eingliederung in die Legion der Unforgiven hatte er die deutliche Abneigung gespürt, die sein Orden gegenüber den menschlichen Streitkräften hegte. Er gab zu, dass die Leistungen des Astra Militarum aus Sicht eines Primaris Space Marine bestenfalls als “unbeständig” einzustufen sind. Dennoch war ihm seine menschliche Herkunft noch bewusster als vielen seiner älteren Brüder, wodurch es ihm eher möglich war, die Verdienste der Menschen anzuerkennen.
Doch selbst wenn sie durch Mithilfe der Menschen einen Angriffsplan für den geheimen Schildgenerator entwickeln und ihn schließlich einnehmen konnten, löste das nur das Kleinere der beiden Probleme.
Die Weiße Seuche war eine Bedrohung, deren Ursprung sie noch nicht einmal kannten. Seit Monaten arbeitete der Apothecary Prime mit seinen Helix Adepts an der Erforschung des tödlichen Nebels, doch bisher ohne einen Durchbruch zu erzielen.
‘Solche Dinge brauchen Zeit,’ hatte ihm Apothecary Prime Maturis immer wieder geduldig auf seine ständigen Nachfragen versichert.
Cassiel war schon seit Monaten des Wartens müde. Space Marines waren transhumane Kriegsmaschinen, die geschärften Klingen des Imperiums – einmal gezogen, brauchten sie den Rausch der Schlacht, um nicht langsam dem Wahnsinn zu verfallen. Einige seiner Brüder waren deshalb freiwillig in der Cyro-Schlaf gegangen, was auch die Nachschubprobleme der Ordensfestung entlastete.
Für Cassiel stand diese Option nicht zur Debatte. Er wollte Wache halten und diese Situation durchstehen, bis er gemeinsam mit seinen Brüdern endlich wieder zum Schwert greifen konnte.
Wann immer das auch sein würde.